18. Januar 2021 – ADVOCACY

NEUE ENTWICKLUNGEN IM FRANKFURTER GENOZID-PROZESS

Nebenklagevertreter beantragen, die religions- und geschlechtsspezifische Verfolgung in die Anklagevorwürfe aufzunehmen

Frankfurt am Main, den 11. Dezember 2020

Geschlechtsbezogene Gewalt war in den Gebieten, die der so genannte “Islamische Staat” militärisch erobern und beherrschen konnte, kein Einzelfall. Sie wurde systematisch gegen Jesiden, Christen, Turkmenen, Shabakh und andere religiöse Minderheiten in seinem zeitweiligen Hoheitsgebiet in Irak und Syrien eingesetzt. Das muss auch im weltweit ersten Prozess wegen des Völkermordes an den Jesiden, der aktuell in Frankfurt a.M. stattfindet, Berücksichtigung finden.

Dem Angeklagten Taha Al-J. werden bislang die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Völkermord, Folter und Versklavung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Mord an einem fünfjährigen jesidischen Mädchen als Kriegsverbrechen nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch vorgeworfen. Die Rechtsanwälte Amal Clooney, Natalie von Wistinghausen und Dr. Jörg Oesterle, welche die Mutter des getöteten Mädchens als Nebenklägerin vertreten,  haben darum vor dem Oberlandesgericht beantragt, dass die systematische Versklavung jesidischer Frauen im Irak als „religions- und geschlechtsbezogene Verfolgung“ in die Anklagevorwürfe mit aufgenommen wird.

Die bisherige Beweisaufnahme hat ergeben, was bereits vorher bekannt war: Dass sich Versklavung und Folter gezielt gegen jesidische Frauen richteten, weil sie weiblichen Geschlechts und Mitglieder einer bestimmten Religion waren. Auf dieser Grundlage fordern die AnwältInnen der Nebenklage, religions- und geschlechtsbezogene Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu behandeln, konkret nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 Völkerstrafgesetzbuch. Nur so kann die Strafverfolgung der strategischen und pesonenbezogenen Zielrichtung der Taten, auch neben der Erfüllung des Tatbestandes des Völkermordes, strafrechtlich gerecht werden.

Natalie von Wistinghausen erklärte in einer Pressemitteilung: „Religions- und geschlechtsbezogene Gewalt gegen weibliche Angehörige der jesidischen Religionsgemeinschaft sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit und müssen als solche strafrechtlich verfolgt werden. Dabei handelt es sich nicht um Gelegenheitstaten, sondern um strategisch eingesetzte Versklavungen gegen Personen eines bestimmten Geschlechts und einer bestimmten Religionszugehörigkeit, genau so, wie es unsere Mandantin und ihre Tochter haben erfahren müssen.”

Amal Clooney erklärte: „Die Tatvorwürfe in diesem historischen Fall sollten das gesamte Ausmaß der in Frage stehenden Straftaten widerspiegeln. Diese umfassen sowohl Völkermord also auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei denen gezielt Frauen versklavt und sexuell missbraucht wurden.”

Unsere Vorsitzende Düzen Tekkal kommentiert den Vorstoß der Nebenklage wie folgt: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass trotz Bestehens spezifischer Straftatbestände, Verbrechen, die aufgrund der Geschlechts- oder Religionszugehörigkeit begangen werden, weitgehend ungeahndet bleiben. Die Art und Weise, wie die deutsche Justiz mit den Verbrechen des IS umgehen wird, ist insoweit als wichtige Etappe für ein langfristiges Gelingen der internationalen Strafverfolgung anzusehen.“