HÁWAR.help e. V. ist eine Menschenrechtsorganisation, die auf der Asche des Völkermords an den Jesiden gegründet wurde. Wir setzen Entwicklungs- und Bildungsprogramme in Irak, Afghanistan und Deutschland um sowie auch internationale Sensibilisierungs- und Aufklärungsinitiativen und politische Arbeit – unter anderem zur Revolution in Iran.
Zehn Jahre nach dem Genozid an den Jesiden ist Irak für Jesiden immer noch kein sicheres Land. Ihre Heimatregion ist zerstört, sie sind nach wie vor noch Diskriminierung, Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt.
In Syrien ist die Zukunft ungewiss; auch die der Menschen- und Frauenrechte. Nachdem es der syrischen Oppositionsbewegung und Zivilgesellschaft gelungen war, das verbrecherische Assad-Regime zu Fall zu bringen, haben islamistische Akteure – die Hayat Tahrir Al-Sham-Miliz (HTS) – eine Interims-Regierung eingesetzt. Es ist unklar, ob die Menschenrechte von Angehörigen religiöser sowie ethnischer Minderheiten unter der aktuellen HTS-Ägide gewahrt werden können. Auch ist unklar, ob die Rechte der Frauen im Land vollumfänglich garantiert werden.
In Afghanistan verfestigt sich der Griff der Taliban immer mehr: Frauen und Minderheiten werden immer weiter entrechtet.
In der Islamischen Republik Iran herrscht seit 45 Jahren eine klerikale Diktatur, die seit Anbeginn eine katastrophale Menschenrechtslage aufweist. Die systematische Verfolgung von Andersdenkenden, Aktivisten, Berufsgruppen sowie ethnischen und religiösen Minderheiten ist an der Tagesordnung. Jeglicher friedlicher Protest der Bevölkerung wird vom berüchtigten Sicherheitsapparat brutal niedergeschlagen. Insgesamt ist die Bedrohung durch islamistisch-dschihadistische Kräfte auf der ganzen Welt gestiegen.
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Angesichts der Interessen und Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland formulieren wir in diesem Positionspapier außen- und entwicklungspolitische Forderungen und Empfehlungen für die künftige Bundesregierung zur Unterstützung der Situation der Jesiden in Deutschland und Irak, sowie zur Lage in Afghanistan, Syrien und Iran sowie der Diaspora aus Iran in Deutschland.
In Deutschland hat die offizielle Anerkennung des Genozids an den Jesiden durch den Bundestag der jesidischen Diaspora in Deutschland Sichtbarkeit und Hoffnung verschafft – und einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Gerechtigkeit dargestellt. Aus dem Beschluss, aus dem auch Forderungen an die Bundesregierung hervorgingen, müssen nun Taten folgen: Die Bundesrepublik muss ein sicherer Zufluchtsort für Jesidinnen und Jesiden sein. Doch vielen Jesiden in Deutschland droht derzeit eine Abschiebung nach Irak, obwohl ihre Heimat noch immer unbewohnbar und aufgrund von Diskriminierung, Verfolgung und bewaffneter Konflikte nicht sicher für sie ist. Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp für Jesiden und Jesidinnen nach Irak.
Irak ist für Jesiden nach wie vor nicht sicher. Mehr als zehn Jahre nach dem Genozid an den Jesiden ist Irak nicht befriedet und die Heimatregion der Jesiden noch immer unbewohnbar. Circa Hunderttausend von ihnen leben weiterhin in IDP-Camps in der Autonomen Region Kurdistan, die irakische Regierung versucht immer wieder durch (angedrohte) Campschließungen die Bewohner:innen der Camps zur Rückkehr zu zwingen, obwohl Infrastruktur fehlt und Sicherheit in der Heimatregion der Jesiden nicht gewährleistet ist. Zusätzlich droht weiterhin Diskriminierung und Verfolgung, es kommt immer wieder zu Hasswellen gegenüber Jesiden. Deutschland muss sich für einen Wiederaufbau der angestammten Heimatregion der Jesiden, Shingal, einsetzen.
Die Bundesregierung sollte sich für die Wahrung der Souveränität Iraks einsetzen. Diese wird vor allem politisch und militärisch-logistisch von der Islamischen Republik Iran auf der einen und durch militärische Angriffe seitens des NATO-Bündnispartners Türkei verletzt. Die Türkei fliegt unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wiederholt Luftangriffe auf Gebiete in Nordirak, darunter auch Geflüchtetencamps. Dabei kommen auch Zivilist:innen ums Leben. Dies stellt Verstöße gegen das Völkerrecht dar. Wir fordern eine Aufarbeitung dieser völkerrechtlichen Verstöße und eine Einstellung der Waffenlieferungen an die Türkei. Des Weiteren muss Deutschland als NATO-Mitglied mehr Druck auf den Bündnispartner Türkei ausüben, demokratische Bewegungen und Bündnispartner des Militärbündnisses der “Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat”, zu denen auch kurdische und jesidische Streitkräfte gehören, nicht anzugreifen. Das iranische Regime unterhält mittels dutzender schiitischer Milizen eine paramilitärische Präsenz in Irak, mit der sie auch politisch Einfluss auf die Geschicke des Landes nimmt. Dies erfolgt durch die Besetzung von Schlüsselstellungen in der politischen Sphäre und durch Erpressung mittels Androhung oder auch Anwendung von Gewalt gegen irakische Parlamentarier:innen und Entscheidungsträger:innen. Wir fordern ein Engagement Deutschlands, die Souveränität des Iraks zu fördern und sich für eine Eindämmung des Einflusses des iranischen Regimes einzusetzen.
Des Weiteren müssen die Forderungen, die der Deutsche Bundestag im Rahmen der Anerkennung des Genozids an den Jesiden und der darin proklamierten Verantwortung für die jesidische Gemeinschaft an die Bundesregierung richtete, weiterverfolgt und umgesetzt werden (siehe Drucksache 20/5228). Dazu gehören unter anderem die juristische Aufarbeitung von Völkerstraftaten im Zusammenhang mit dem Genozid an den Jesiden, der Wiederaufbau zerstörter Städte und Dörfer in Irak, die Umsetzung des Sinjar-Abkommens unter Einbeziehung der jesidischen Gemeinschaft und die Gewährleistung von Schutz im Rahmen des Asylverfahrens.
Wir kritisieren das Auslaufen des Abschiebestopps nach Iran Ende 2023 scharf. Die Islamische Republik Iran ist kein sicheres Land. In Bayern wurden in den ersten drei Monaten im Jahr 2024 mindestens vier Personen nach Iran abgeschoben, zwei weitere Abschiebungen konnten in letzter Sekunde gestoppt werden. Von Abschiebung bedroht sind unter anderem konvertierte Christ:innen, homosexuelle Personen und Frauen. Im Juli konnte nach einem Flughafenverfahren nur in letzter Minute durch zivilgesellschaftlichen Einsatz die Abschiebung einer 17-jährigen Kurdin, die sich an den “Frau, Leben, Freiheit”-Protesten an ihrer Schule beteiligt hatte und ihrer 70-jährigen Großmutter verhindert werden. Die Schutzquote für aus dem Iran Geflüchtete ist im ersten Quartal 2024 auf 39 % gesunken. Die Innenministerkonferenz muss einen bundesweiten Abschiebestopp für Iran verhängen.
Minderheiten und marginalisierte Gruppen werden in der Islamischen Republik Iran systematisch verfolgt. Baha’i, Kurd:innen, Belutsch:innen, queere Personen und weitere werden kriminalisiert und willkürlich inhaftiert. Das Konvertieren zu einer anderen Religion wird hart bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Geschlechtsspezifische Verfolgung muss als Asylgrund anerkannt werden, ebenso die Verfolgung aufgrund der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe sowie aufgrund der sexuellen Orientierung.
Mehr als 250 Personen, die sich an den „Frau, Leben, Freiheit“-Protesten beteiligt haben, sind über ein humanitäres Visum in Deutschland eingereist. Für sie wird strukturelle Unterstützung benötigt, die derzeit allein von der Zivilgesellschaft getragen wird. Erleichterter Zugang zu Sprachkursen, medizinischer Versorgung sowie die langfristige Einbindung in politische Prozesse, wie beispielsweise die Möglichkeit zur Teilnahme an Konferenzen der UN-Untersuchungskommission, sind für eine schnellere Integration notwendig.
Die Geheimdienste der Islamischen Republik Iran bedrohen oppositionelle Aktivist:innen, Journalist:innen und weitere in Deutschland. Für sie braucht es erhöhte Schutzmaßnahmen und eine stärkere Sensibilisierung in den Sicherheitsbehörden.
Die Islamische Republik Iran hat zahlreiche Einrichtungen in Deutschland. Wir begrüßen die Schließung des „Islamischen Zentrum Hamburg“ (IZH) und fordern dies für das sogenannte „Iran-Haus“ in Berlin sowie die Außenfilialen der Banken des Regimes. Letztere sind in den USA sanktioniert, weil sie nachweislich Finanzdienstleistungen für Terrororganisationen wie die Hisbollah erbringen.
Der Verfassungsschutz warnt vor den Aktivitäten der Geheimdienste der Islamischen Republik Iran in Deutschland. Der Behörde sind 160 Personen mit Bezug zur Revolutionsgarde in Deutschland bekannt. Diese stellen eine Gefahr für Oppositionelle, aber auch für die jüdische Gemeinschaft dar. Die Bundesregierung muss konsequent gegen diese Gefahr vorgehen.
Die Europäische Union muss die Revolutionsgarden der Islamischen Republik Iran auf die EU-Terrorliste setzen. Die IRGC ist für den Terror im Inland gegen die eigene Bevölkerung sowie weltweit verantwortlich, indem sie Terrorgruppen wie Hamas und Hisbollah finanziert und kontrolliert.
Personenbezogene Sanktionen gegen all jene, die für die Menschenrechtsverbrechen in Iran verantwortlich sind, müssen verhängt werden. Die EU muss die Umsetzung der Sanktionen genau kontrollieren.
Trotz Sanktionen sind die Ausfuhren von Handelsgütern in die Islamische Republik Iran aus Deutschland von Januar bis Februar 2024 um gut 22 Prozent auf 241 Millionen Euro gestiegen. Die Importe sanken um mehr als 13 Prozent auf 41,2 Millionen Euro. Die Handelsbeziehungen mit der Islamischen Republik Iran müssen vollständig unterbunden werden. Regelverstöße zur Weitergabe von Überwachungstechnologien an die Islamische Republik Iran müssen EU-weit konsequent geahndet und unterbunden werden.
Die Völkerrechtsverbrechen, insbesondere die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter anderem durch die UN Fact-Finding Mission on Iran festgestellt wurden, müssen konsequent aufgearbeitet und verfolgt werden. Die Islamische Republik Iran muss aufgefordert werden, die von ihm ratifizierten Menschenrechtsverträge einzuhalten und umzusetzen sowie der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) und der Anti-Folter-Konvention (CAT) beizutreten. Die Bundesregierung soll sich an internationalen Gerechtigkeitsbestrebungen beteiligen, zum Beispiel durch den Einsatz für die Verlängerung der UN Fact-Finding Mission on Iran, die Fortführung und Durchsetzung der EU-Sanktionsregime und die Unterstützung bei Ermittlungsvorhaben.
Die Islamische Republik Iran muss als Gender-Apartheid Staat benannt und eingestuft werden. Dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie weitere von der Untersuchungskommission der UN anerkannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen juristisch verfolgt werden.
Die Gespräche mit der Islamischen Republik Iran zur Erneuerung des sogenannten Atomdeals sind gescheitert. Das Regime nutzt solche Gespräche, um Legitimität zu erlangen. Deutschland muss die Gespräche beenden.
Es bedarf einer radikalen Wende in der deutschen und europäischen Iran-Politik, die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt. Gespräche müssen mit der Zivilgesellschaft gesucht werden, nicht mit den Machthabern des Regimes. Sämtliche Gespräche mit dem Regime im Teheran müssen die Einhaltung der Menschenrechte voraussetzen. Die zwei wichtigsten Voraussetzungen sind: Freilassung der politischen Gefangenen und die Abschaffung der Todesstrafe.
Nach wie vor sind deutsche Staatsbürger:innen als Geiseln in Iran inhaftiert. Die Islamische Republik Iran nutzt europäische Staatsbürger:innen als Faustpfand gegen die europäischen Länder. Ihre Befreiung muss oberste Priorität haben. Dazu braucht es eine gemeinsame europäische Strategie zur Beendigung der Geiseldiplomatie.
Wir fordern die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission, die den Fall Jamshid Sharmahd umfassend untersucht. Diese Kommission soll den gesamten Verlauf von seiner Entführung bis zu seiner Hinrichtung beleuchten. Insbesondere soll geprüft werden, ob die Bundesregierungen, sowohl die Große Koalition als auch die Ampelregierung, alle notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, um seine Rechte zu schützen, welche Schritte unternommen wurden, und wo mögliche Versäumnisse oder Fehlentscheidungen lagen.
Die Lage der iranischen Geflüchteten hat sich in den letzten Monaten in den Nachbarländern Irans drastisch verschlechtert. Davon sind insbesondere Geflüchtete in der Türkei und in der Autonomen Region Kurdistan betroffen. Die Türkei schiebt Geflüchtete nach Iran ab, betroffen sind unter anderem ehemalige politische Gefangene oder Personen, denen die Todesstrafe droht. Nach Schließung eines Abkommens zwischen der Islamischen Republik Iran und Irak werden viele Aufenthaltsgenehmigungen von iranischen Geflüchteten in der Autonomen Region Kurdistan nicht verlängert. Die Bundesregierung muss den Druck auf die Türkei und Irak erhöhen, um Abschiebungen iranischer Geflüchteter zu stoppen. Zudem bedarf es humanitärer Hilfe für die Geflüchteten in den Nachbarregionen Irans.
Politisch, genderspezifisch, religiös und ethnisch Verfolgten muss ein erleichterter Zugang zu humanitären Visa nach Paragraph 22 Aufenthaltsgesetz ermöglicht werden. Die Verfahren müssen schnell und barrierefrei ermöglicht werden.
Seit der Machtübernahme der Taliban werden Afghan:innen immer weiter entrechtet. Es kommt täglich zu Menschenrechtsverbrechen, Menschen werden tagtäglich ihrer grundlegenden Freiheiten beraubt. Insbesondere die Frauen und Mädchen Afghanistans trifft es besonders schwer. Die Taliban haben ein rigides Geschlechter-Apartheidsregime installiert: Frauen werden immer weiter aus der Öffentlichkeit verdrängt, dürfen nicht arbeiten, weiterführende Schulen besuchen oder in einigen Provinzen ohne männliche Begleitung das Haus verlassen. Anfang Dezember trat ein Edikt der Taliban in Kraft, dass Frauen die medizinische Ausbildung verbietet – und damit Frauen von medizinischer Versorgung abschneidet. Denn unter den Taliban ist es Männern nicht erlaubt, Frauen zu behandeln. Es häufen sich Berichte von willkürlichen Verhaftungen und sexualisierter Gewalt gegen Frauen seitens der Taliban. Wir fordern eine Listung von Gender-Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Straftatbestand des internationalen Völkerrechts. Staatliche Gesetze, Richtlinien und Praktiken, die Frauen Bedingungen extremer Ungleichheit und Unterdrückung aussetzen, mit der Absicht, ihre Menschenrechte effektiv auszulöschen, spiegeln den Kern von Apartheidsystemen wider. Afghanistan muss vor diesem Hintergrund als Gender-Apartheid-Staat benannt und eingestuft werden.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit seitens der Taliban müssen vor dem Internationalen Strafgerichtshof, oder nach dem Weltrechtsprinzip belangt werden, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Die Taliban darf auch unter einer neuen Bundesregierung nicht anerkannt werden. Dazu gehört auch jegliche politische Zusammenarbeit, die über humanitäre Hilfe hinausgeht, wie z. B. direkte oder indirekte Kooperationsgespräche über Abschiebedeals, da solche Gespräche die Taliban-Herrschaft schrittweise legitimieren.
Afghanistan ist aufgrund der Menschenrechtslage kein sicheres Herkunftsland. Menschen werden dort ihrer grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte beraubt. Insbesondere die Frauen und Mädchen Afghanistans trifft es besonders schwer, denn die Taliban haben ein rigides Geschlechter-Apartheidsregime installiert: Frauen werden immer weiter aus der Öffentlichkeit verdrängt, dürfen nicht arbeiten, weiterführende Schulen besuchen oder in einigen Provinzen ohne männliche Begleitung das Haus verlassen. Wir fordern, dass Abschiebungen nach Afghanistan weiter ausgesetzt bleiben. Denn ein menschenwürdiges Leben sowie ein Leben in Sicherheit ist für viele Afghan:innen, insbesondere für Frauen und Minderheiten, vor Ort nicht möglich.
Aufgrund der Menschenrechtslage in Afghanistan und keiner Aussicht auf Verbesserung müssen politische Maßnahmen wie etwa eine Ausweitung von Sanktionen, die die Taliban-Funktionäre anvisieren, jedoch nicht zu Lasten der Bevölkerung fallen, in Erwägung gezogen und geprüft werden.
Mit dem Bundesaufnahmeprogramm (BAP) wurde im Jahr 2022 ein Fluchtweg geschaffen, durch den besonders gefährdete Afghan:innen in Deutschland aufgenommen werden können. Das Programm richtet sich an Afghan:innen, die sich für Menschen- und Frauenrechte und für ein demokratisches, rechtsstaatliches Afghanistan eingesetzt haben oder auf Grund ihres Geschlechts, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung oder Religion verfolgt werden.
Doch die Abwicklung des BAPs lief schleppend und blieb weit hinter den Erwartungen zurück: Bis zu 1.000 Aufnahmen durch das BAP wurden pro Monat versprochen, bis August 2024 hätten somit 22.000 Menschen in Deutschland aufgenommen werden können – tatsächlich wurden es bis Ende 2024 jedoch nur 3.055 Aufnahmezusagen im Rahmen des BAP vergeben, davon sind bisher 1.020 Personen eingereist. Im Sommer 2024 wurde bekannt, dass der damalige Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2025 eine 90-prozentige Kürzung der Mittel für das BAP vorsah, was das Ende des Programms bedeutet hätte. Anfang November kam es, nach dem mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen – darunter HÁWAR.help – sich für eine Weiterführung des BAP einsetzten, Anfang November zu einem Beschluss des Haushaltsausschusses: Es sollten weiterhin neue Aufnahmezusagen erteilt werden und finanzielle Mittel auch für 2025 bereitgestellt werden. Kurz darauf zerbrach jedoch die Regierung, eine weitere Finanzierung ist seitdem ungewiss und eine Entscheidung über weitere Aufnahmezusagen steht noch aus.
Wir fordern die Weiterführung und adäquate Finanzierung des Bundesaufnahmeprogramm (BAP) für die Evakuierung besonders gefährdeter Afghan:innen nach Deutschland.
Der Vielvölkerstaat Syrien ist von widerstrebenden Interessen und Machtdynamiken geprägt – in dem sich jedoch Ansätze zu einer potenziell demokratischen und friedlichen Neuausrichtung für die Zeit nach dem Sturz Assads und dem seit 13 Jahren währenden Bürgerkrieg ausmachen lassen. Wir fordern eine Unterstützung der demokratischen und pluralistischen Kräfte in Syrien durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien und deren Einbindung in Friedensgespräche in Syrien. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um Frieden in der Region zu fördern. Die Selbstverwaltung strebt eine politische Lösung für den syrischen Bürgerkrieg und einen Friedensprozess an. Das Ziel ist eine dezentrale Regierung, mit lokalen Verwaltungseinheiten und gleichen Rechten für alle Ethnien und Minderheiten im Land. Die diplomatische Vertretung der Selbstverwaltung in Deutschland gab im Dezember bereits in einer Erklärung bekannt, sie sei bereit „in enger, regelmäßiger und umfassender Abstimmung mit der Bundesregierung und der Europäischen Union zu einer Stabilisierung und Befriedung Syriens und der ganzen Region beizutragen.“
Seit 2018 hält die Türkei mittels von ihr finanzierter und gesteuerter islamistischer Milizen, die derzeit unter dem Namen “Syrische Nationalarmee” (SNA) kämpfen, die kurdische Region Afrin in Nordsyrien de facto besetzt. Nach dem Einmarsch, der mit Unterstützung durch die türkische Luftwaffe erfolgte, wurde im Jahr 2018 nicht nur ein örtliches Gewaltregime installiert, das auf Verschleppung, Folterung und Vertreibung der kurdischen Bewohner:innen und sogar Zwangs-Konvertierung (u.a. von Jesid:innen) abzielte. Hinzu kam eine kolonialistische Ausbeutungspraxis: Die Abholzung und Beraubung der Olivenhaine in Afrin, die eine wichtige ökonomische Einkommensquelle für die Bewohner:innen darstellen. Dies sind nicht nur völkerrechtswidrige Akte, sondern angesichts des weltweiten Klimawandels auch Umweltverbrechen gegen die Menschheit.
Hinzu kommt, dass das türkische Militär unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung immer wieder Gebiete in Syrien, insbesondere im Norden und Nordosten aus der Luft angreift, um kurdische Autonomiebestrebungen zu verhindern. Dabei kommen auch Zivilist:innen ums Leben und lebensnotwendige Infrastruktur wird zerstört. Seit Ende 2024 rückt die SNA nun gegen die kurdische Selbst-verwaltung von Nord- und Ostsyrien vor. Wir fordern eine Aufarbeitung völkerrechtlicher Verstöße seitens der Türkei, eine Einstellung der Waffenlieferungen an die Türkei und dass Deutschland als NATO-Mitglied mehr Druck auf den türkischen Bündnispartner ausübt, demokratische Bewegungen und die Partner des Militärbündnisses der “Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat”, zu denen auch kurdische und jesidische Streitkräfte gehören, zu achten.
Nach dem Vormarsch der islamistischen Hayat Tahrir Al-Sham-Miliz (HTS), die schlussendlich den syrischen Diktator Baschar Al-Assad zu Fall brachte und eine Interims-Regierung einsetzte, erscheint die Zukunft der syrischen Oppositionsbewegung ungewiss. Sowohl aus den Reihen der HTS, dessen Ursprünge in der Al-Nusra-Front liegen, die mit der Terrororganisation Al-Qaida affiliiert war, als auch der SNA, gibt es dokumentierte gravierende Menschenrechtsverletzungen. Darunter auch Angriffe auf und gezielte Tötungen, Entführungen und Inhaftierungen von Frauen und ethnischen und religiösen Minderheiten. Die Bundesrepublik sollte sich für die Beibehaltung der Terrorlistung der HTS durch die Europäische Union sowie im EU-Rat für eine Listung der SNA als Terrororganisation einsetzen sowie für Sanktionen gegen mit ihr verbundenen Personen, Gruppen, Unternehmen und Körperschaften.
Syrien als Vielvölkerstaat muss eine sichere Heimat für alle Bewohner:innen werden, unabhängig von Ethnie, Geschlecht sowie religiöser oder politischer Zugehörigkeit. Doch die dokumentierten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Minderheiten seitens der neuen Machthaber der HTS (sowie der SNA), lassen Zweifel aufkommen. Die Sorge unter Frauen sowie den vielen Minderheiten Syriens, u.a. Kurd:innen, Jesid:innen, Christ:innen, schiitischen Muslimen, Alawit:innen, Tscherkess:innen und Armenier:innen ist somit groß. Auch die Aussagen der jüngst ernannten Frauenministerin Aisha Al-Dibs, Frauen seien primär für ihre Familien und Ehemänner verantwortlich, lassen vermuten, dass Geschlechtergleichheit von der Interimsregierung in Syrien nicht angestrebt wird. Frauen protestierten diesbezüglich bereits in Damaskus für ihre Rechte. Diesen Stimmen muss Gehör geschenkt werden. Deutschland muss sich wiederholt auf internationaler Ebene für den Schutz von Frauen und Minderheiten einsetzen, damit eine Stabilisierung und Befriedung Syriens mit gleichen Rechten für alle hergestellt werden kann.
Die humanitäre Lage in Syrien bleibt kritisch. Die seit 2011 andauernden Kämpfe haben große Teile des Landes und wichtige Infrastruktur zerstört. 90 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut. Deutschland gab bereits bekannt, Gelder für Hilfsprojekte zur Verfügung zu stellen, doch weiteres Engagement, insbesondere aufgrund der drohenden Aussetzung US-amerikanischer Hilfsgelder, muss folgen.
Wir fordern einen bundesweit einheitlichen Abschiebestopp nach Syrien – die sich kontinuierlich verändernde Lage vor Ort zeigt, dass die Bedingungen einer sicheren und menschenwürdigen Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Auch wurden ehemalige Regime-Anhänger noch nicht vollständig entwaffnet. Abhängig von ihrer ethnisch-religiösen Zugehörigkeit oder ihren politischen Überzeugungen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer:innen Repressionen, Folter und Unterdrückung, Verfolgung und Gewalt durch HTS/SNA ausgesetzt werden. Zwar wird zurzeit de facto nicht nach Syrien abgeschoben, jedoch wurden in der Vergangenheit die Rufe in Politik und Gesellschaft nach eine Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Syrien lauter – hier braucht es einen bundesweit einheitlichen Beschluss gegen Syrien als sicheres Herkunftsland, solange die Menschenrechtslage in dem Land volatil ist. Zeitgleich sollte es Syrer:innen, die in Deutschland Schutz suchten, möglich gemacht werden, selbst die Lage vor Ort zu beurteilen und die Aussicht auf eine eventuelle sichere Rückkehr zu bewerten – indem sie nach Syrien reisen dürfen, ohne ihren Schutzstatus zu verlieren.
Seitdem der sogenannte Islamische Staat (IS) militärisch weitestgehend besiegt wurde, werden gefangen genommenen IS-Kämpfer und IS-Anhänger:innen, darunter auch deutsche Staatsbürger:innen, von kurdischen Kräften (Partner des Militärbündnisses der “Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat”) in Gefängnissen und Geflüchtetenlagern gefangen gehalten. Dies stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, da in den Lagern keine Deradikalisierung dieser Personen stattfindet und kurdische Kräfte große Schwierigkeiten haben, die Lager und Gefängnisse zu verwalten. Die jüngst erlassenen Dekrete von US-Präsident Donald Trump sorgen für weitere Unsicherheit: Die Aussetzung von Hilfsgeldern betrifft auch die Verwaltung und Versorgung ebendieser Gefängnisse und Geflüchtetenlager. Ohne Unterstützung können die Verwaltung der Gefängnisse, eine menschenwürdige Inhaftierung sowie strafrechtliche Prozesse nach internationalen Standards nicht gewährleistet werden. Deutschland muss deutsche Staatsbürger:innen, die sich dem IS angeschlossen haben (und ihre Familien) zurückholen, damit in Deutschland strafrechtliche Verfolgung sowie Deradikalisierungsprogramme erfolgen können.
Noch über 2.600 Jesidinnen und Jesiden gelten als vermisst, zehn Jahre nach dem Genozid, verübt durch den sogenannten Islamischen Staat. Einige werden in den von kurdischen Kräften verwalteten Geflüchtetenlagern vermutet, wohin sie von IS-Anhänger:innen, die dort gefangen gehalten werden, verschleppt wurden. Zwar gibt es behördliche Stellen und aktivistische Gruppen, an die sich jesidische Familien wenden können, doch eine koordinierte, großangelegte und gemeinsame Suche durch irakische, kurdische und internationale Akteure blieb bisher aus. Viele Familien müssen sich somit verzweifelt selbst um die Suche ihrer verschleppten Verwandten kümmern. Wir fordern, dass sich Deutschland als das Land mit der größten jesidischen Diaspora weltweit für die Suche nach den vermissten Jesidinnen und Jesiden einsetzt und die Suche in Syrien, wie auch in anderen Ländern, unterstützt.
Die Präsidentschaft Donald Trumps könnte in Syrien und Irak ein Sicherheitsvakuum entstehen lassen, wenn US-Streitkräfte etwa aus der “Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat” abgezogen würden. Vor diesem Hintergrund sollte Deutschland sich für ein Fortbestehen des Militärbündnisses in mindestens derselben Stärke einsetzen. Ansonsten droht ein Erstarken des IS und anderer islamistisch-dschihadistischer Gruppen in der Region.
Die Verbrechen des Assad-Regimes müssen aufgearbeitet und Täter strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden – auch um Racheakte und Selbstjustiz im Land zu unterbinden und zu einer Befriedung Syriens beizutragen. Aufgrund der Erfahrung Deutschlands in der Aufarbeitung gravierendster Menschenrechtsverbrechen und als Land mit der größten syrischen Exil-Community fordern wir, dass Deutschland sich für die internationale wie nationale strafrechtliche Verfolgung der Täter einsetzt, sowie bei der Dokumentation und Aufarbeitung der Verbrechen unterstützt. Dies kann auch im Rahmen eines internationalen Straftribunals in Syrien erfolgen, vor dem auch die Taten des IS für Verbrechen in Syrien und Irak zur Anklage gebracht werden können. Für die Schaffung eines solchen sollte sich die Bundesrepublik Deutschland auf UN- und EU-Ebene ebenso einsetzen wie für die Stärkung der syrischen Zivilgesellschaft.
Als Menschenrechtsorganisation, die auf der Asche des Völkermords an den Jesiden gegründet wurde und sowohl Entwicklungs- und Bildungsprogramme in Irak, Afghanistan und Deutschland umsetzt, als auch internationale Sensibilisierungs- und Aufklärungsinitiativen sowie politische Arbeit – unter anderem zur Revolution in Iran betreibt, arbeiten wir bereits in und zu den vorgestellten Kernländern und -themen. Wir wollen gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger:innen an Lösungen für unsere Forderungen arbeiten. Eine große Herausforderung für Organisationen wie HÁWAR.help sind Projektförderungen und begrenzte Projektlaufzeiten.
Wir fordern somit die Bereitstellung von spezifischen Fördermitteln für zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere für den Aufbau von nationalen und internationalen Projekten, die sich mit dem Schutz von Frauen, Minderheiten sowie politisch Verfolgten, Bildungsarbeit und Fluchtursachenbekämpfung befassen. Die künftige Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen, die sich nur im Zusammenspiel mit zivilgesellschaftlichen Akteuren lösen lassen. Die Wahrung von Menschenrechten ist hierbei das größte Gut – und genau hier können zivilgesellschaftliche Organisationen wie HÁWAR.help unterstützen. Gemeinsam gestalten wir eine Zukunft, die geprägt ist von Menschlichkeit, Solidarität, Geschlechtergerechtigkeit und Mitgefühl um eine Welt zu schaffen, in der sich jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Glaubensrichtung, selbstbestimmt und in Sicherheit entfalten kann.